1929

Der 24.Juli 1929 brachte für unser Gebiet viel Unheil. Vormittags gegen zehn Uhr brannten die zusammengebauten Höfe des Vinzenz Haider und des Josef Pairst, Schindltal Nr.7 und Nr.8 ab. Im Laufe des Spätnachmittags gingen orkanartige Wolkenbrüche mit starkem Hagelschlag nieder.

Murbruch Inzing, 24.Juli bis 17.August 1929 - Photo: Ferdinand Wippler, Zirl

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Gegen 18 Uhr entlud sich das Gewitter über Pettnau, Leiblfing und Dirschenbach; es vernichtete die Feldfrucht. In Hatting führte der Klammbach[*] Hochwasser und ein starkes Stein- und Holzgerölle mit sich, trat aus den Ufern und überschwemmte mehrere Grundstücke; auch die Salzstraße im Dorfbereich war stark vermurt. Die Sellrainer Straße war unpassierbar. In Innsbruck fielen gegen 19 Uhr haselnußgroße Hagelkörner.

Am schlimmsten aber verheerte das Unwetter Zirl und unser Dorf. Die Zirler Dorfbäche, besonders der Schloßbach, wüteten im Dorfe und fügten Häusern und Grundstücken üblen Schaden zu.[*]

Auch im Hundstal hatte ein Unwetter getobt und Muren ausgelöst. Ein starker Schlagregen, gemischt mit Hagel schwemmte das in den steilen Runsten lagernde Verwitterungsmaterial, groben Schutt und grobe Felsbrocken, in den Hauptgraben. Die breiigen Massen stammten zum Großteil aus den steilabfallenden Anbrüchen, die rechtsseitig der Oberlaufstrecke lagen. (Besonders aus der ,,Hohen und Großen Mur``). Viel Material kam auch aus den Werken der Oberlaufverbauung; die Werke erlitten nur geringen Schaden.

Gegen 19 Uhr brachte der Bach die Gesteins- und Erdmassen zutal. Er schwoll schnell und stark an. Das Bachbett konnte die Wassermenge nicht mehr halten. Vornehmlich an zwei Stellen erfolgten gewaltige Ausbrüche. Das Wasser mit Felstrümmern und Steinen bahnte sich einen Weg durch angebaute Felder, schwemmte den fruchtbaren Humus fort, ließ Murgeröll und Felsbrocken zurück, bedeckte die Fluren mit lehmigen Murgrieß und ausgedehnten Schotterbänken und riß tiefe Rinnen und Krater in Wiesen und Äcker.

Einige Steine schätzte man auf 5000 bis 7000 kg; sie wurden später bei den Aufräumungsarbeiten gesprengt oder versenkt. Unterhalb der Salzstraße, ein Stück vor dem Enterbachgerinne, hatte der Murstrom eine Grube aufgerissen, in der ein kleines Haus Platz gehabt hätte. Die Straße war auf einer Länge von 300 Metern übermurt.

Große Flächen der schönsten Kulturgründe von der Schutzarche - die wenigstens das Dorf selbst vor der Katastrophe behüten konnte - bis zum Inn waren von gewaltigen Stein-, Schutt- und Holzmassen bedeckt.[*]
Insgesamt war eine Fläche von ca. 25-30 Hektar vermurt.

Laut einem bei der Gemeinde aufliegenden Schätzungsprotokoll vom 5.August 1929 hatten 43 Grundbesitzer Schaden an Wiesen und Äckern erlitten. Insgesamt waren es 86 Parzellen; 69 davon tragen die Nummern 306-363 und 551-680. Schätzer bewerteten den Schaden für diese Gründe mit 66765 Schilling; dazu kamen noch gemeindeeigene Wiesenflächen deren Schädigung 3469 Schilling betrug. Demnach ergibt sich ein Gesamtschaden von 70234 Schilling für landwirtschaftlich genutzte Grundflächen.

Mindestens 2500 Schilling Schaden erlitten:

Edmund Kneisl, Salzstraße 8; Witwe Rosina Schärmer, Kohlstatt 12; Peter Paul Wanner, Salzstraße 5; Karl Deutschmann, Salzstraße 7; Josef Jenewein, Salzstraße 11; Johann Prantl, Hauptstraße 7; Georg Hurmann, Mühlweg 20; Vinzenz Klotz, Salzstraße 2; Anton Oberthanner, Bahnstraße 1; Gottfried Ebenkofler, Kohlstatt 23; Franz Kneisl, Salzstraße 10.

Den größten Schaden erlitt Edmund Kneisl, dessen Äcker und Wiesen laut Protokoll zu 70% vermurt und teils schwer mitgenommen waren.

Im Dezember 1929 erhielten die Bedürftigsten insgesamt 29704 Schilling. Am 31.Jänner 1930 überwies das Amt der Tiroler Landesregierung 19694,75 Schilling, die an 46 Geschädigte ausgezahlt wurden. Am 11.2.1930 traf eine Unterstützung von 4950 Schilling zur Verteilung an geschädigte Parteien ein. Im Mai 1931 überwies der Landeskulturrat für Tirol für 54 von der Neunundvierziger Mure geschädigten Personen 6295 S.

Sämtliche Brücken waren von den Fluten mitgerissen worden, mit Ausnahme der Eisenbahnbrücke, bei der sich alles verstopfte; dies war die Ursache, daß sich das Bachbett so anfüllte; diese Brücke wurde in die Höhe geschoben und beschädigt, so daß der Zugsverkehr unterbrochen war.[*]
In großer Breite überflutete der Murstrom den Bahndamm. 2 bis 3 Meter hoch war das Bahngeleise mit Geröll und mit Schlamm bedeckt. Auch die elektrische Fernleitung war zerstört.

Aufräumungsarbeiten nach der Mure von 1929 - Photo: Ferdinand Wippler, Zirl

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Fast jede Generation in unserem Dorf erlebte eine Murkatastrophe, manche mußten diesen Schrecken sogar öfters ertragen. Zutiefst ist daher das Entsetzen und die Furcht vor der alles niederwalzenden Gewalt der Murflut in der Bevölkerung verankert.

Als am Montag, den 24.7.1929 der Ruf ,,die Mur kimmt`` durch die Straßen und Gassen unseres Dorfes gellte, Sturmgeläute und schmetternde Trompetensignale nahende Gefahr ankündigten, stürmten alle Bewohner ins Freie.

Frauen und Kinder horchten verängstigt auf das ungewohnt laute Brausen, Rauschen und Rumpeln des Baches, das man bis ins Dorf hörte. Bewohner des oberen Dorfes, die durch die Mure stets äußerst gefährdet sind, brachten sich in Sicherheit. Sie eilten mit Decken auf den Hang des Prantlwaldes.

Die Männer hasteten mit langem Kreil (Kraler), Stangen, Schaufeln, Pickeln und Brettern zum Bach. Dort war die Hölle los. Gurgelnd und rauschend schoß das schmutzig schäumende Wasser zutal. Der Bach tobte und lärmte. Steine rollten polternd vorüber, Wurzelstöcke tauchten auf und versanken wieder in der erdbraunen Flut, Baumstämme, Bretter und Holz glitten vorbei.

Nahe beisammen standen am Ufer die Menschen. Da schuf der Junge neben dem Alten, der Vater neben dem Sohn, der Nachbar neben dem Fremden, ja sogar Frauen und der Schule kaum entwachsene Burschen schoben mit ihren Geräten unermüdlich das im Wasser rumpelnde Geröll weiter, um so Stauungen zu verhindern.

Wurde die wilde Flut trotzdem bald da, bald dort, durch den Widerstand gehemmt, dann trat sie aus ihrer schmalen Bachrunst und grub sich durch Wiesen und Äcker einen neuen Weg. Eilig beseitigten die Männer das Hindernis, schleppten Holzblöcke, Sandsäcke und Bretter herbei. Sie engten damit den sich ausbreitenden Bach ein und zwangen ihn so wieder in sein Bett.[*]

Froh waren die Männer, als Hilfe kam und sie bei den Wehrarbeiten ablöste. Von Hötting eilten 44 Mann der 1.Kompanie der Heimatwehr unter dem Kommando Schobers herbei, aus Zirl, das selbst schwer vom Unwetter getroffen war, traf eine Gruppe der Freiwilligen Feuerwehr ein. Auch das Militär leistete Beistand. Bis tief in die Nacht dauerte bei Scheinwerferlicht und Fackelschein der Kampf mit den wilden Wassern.[*] Bis Mitternacht arbeiteten 50 Mann eines Pionierzuges des 12. Alpenjägerregimentes und nach Mitternacht eine Mannschaft der Telegrafenkompanie der sechsten Brigade.[*]

Die Bundesbahn hatte ca.100 Arbeiter aufgeboten, damit die Strecke rasch benützt werden kann. Besonders mühselig und zeitraubend war die Arbeit, das Bachbett unter der Eisenbahnbrücke frei zu bekommen. Die Straßenbrücke über den Enterbach baute eine Pionierabteilung des Heeres.

Die Kollaudierung der Hochwasserschädenbehebungsarbeiten fand am 5.6.1935 statt. Doch noch Jahre hindurch waren einzelne Bauern damit beschäftigt, Murschäden auf ihren Äckern und Wiesen zu beheben.

Auch die im Sommer 1931 im Talinneren herabgebrochenen Muren richteten in der Dorfflur Schaden an. Die Gemeinderatsprotokolle vom 7.Juli und 27.November 1931 weisen auf diese Mure hin. Zur Linderung des Notstandes erhielten die Geschädigten 4685 Schilling, um sich Saatgut u.ä. beschaffen zu können.

Das Unwetter am 28.8.1932 verletzte an 20 Stellen das sogenannte Vorpflaster der Steinsperren und beeinträchtigte die Wirkung von 10 Sperren durch Unterwaschungen.

Die dreißiger Jahre waren in wirtschaftlicher Hinsicht sehr schlimm. Die Bautätigkeit war, wie überall, in unserem Dorf gering. Jahrzehntelang war das Haus Onestinghel (Salzstraße 22)[*] das westlichste Haus unseres Dorfes. Man hatte Bedenken, näher an den Bach heranzubauen; es bestand damals dazu auch keine Notwendigkeit.

Erst nach den Jahren 1931-1933 erbaute sich, an den Grund Onestinghel angrenzend, Josef Draxl ein kleines Eigenheim (Salzstraße 24) mit Zementwarenbetrieb. Hernach errichtete viele Jahre hindurch niemand ein Bauwerk in diesem Gebiet.

Nach dem Zweiten Weltkrieg bauten viele. Vorher bestanden in Inzing 198 Häuser; das Gadner Haus in Toblaten Nr.1 wurde 1936 als letztes Wohnhaus der Vorkriegszeit erbaut. Während des Krieges entstanden drei Wohnhäuser.[*] 1967 zählte man 363 Häuser.

Der Baugrund wurde rar und teuer. Immer häufiger und dringender baten die Bauwerber, das Gelände westlich des Dorfes für Bauzwecke freizugeben. Im Einvernehmen mit der Landesbehörde nahmen die Gemeinderäte einen schmalen Streifen in den neuen Baulinienplan als Verbauungsgebiet auf. Entlang des Baches bestand für ein breites Band weiterhin absolutes Bauverbot.

Mure 1929; (vermutlich) Alpenjägerregiment - Photo: Ferdinand Wippler, Zirl

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In kurzer Zeit errichteten an der Salzstraße und entlang des Schretterweges Inzinger und Zugezogene ca.20 Wohnhäuser.

Bei einer späteren Abänderung des Baulinienplanes schlug die Baubehörde vor, die mit Bauverbot belastete Gefahrenzone zu verbreitern und damit das Baugebiet westlich vom Dorfe möglichst einzuschränken. Der Gemeinderat akzeptierte diese Anregung. So kamen einige Häuser ins Sperrgebiet zu liegen.

Gegen den Beschluß erhoben am 23.6.1968 Besitzer Einspruch und verlangten u.a. rasche Schutzmaßnahmen gegen die Murgefahr, da sonst eine starke Entwertung ihrer Gründe und ihrer Häuser unvermeidlich wäre. Die Gemeinde wandte sich sogleich an die Gebietsbauleitung der Wildbachverbauung, an das Baubezirksamt und an die Grundzusammenlegungsbehörde[*] mit der Bitte, in einer gemeinsamen Aussprache, dieses Übel zu beheben. Die Beamten besichtigten das Gebiet und erklärten, es müßten Schutzbauten und zwar oberhalb des Dorfes errichtet werden.

Die Lösung dieses Problems erfolgte rasch und unerwartet; all das erregte Debattieren, Sorgen und Planen beendete am 26.7.1969 eine neue Mure.

http://www.pisch.at/Ernst/Wissen/Dorfbuch/Dorfbuch.html