Der Murbruch von 1807 ist die älteste Mure, über die genaue Angaben vorliegen.
Kurz vorher wirkte bei uns Pfarrer Maaß, dem man eine prophetische Gabe zuschrieb. Es wird erzählt:
Gegen Ende Jänner 1805 schied Pfarrer Maaß von Inzing. Am Tage der Trennung schlug er zu Fuß den Weg nach Flaurling ein. Einige Gemeindemänner gaben ihm das Geleite. Auf der Brücke des Enterbaches, der damals nur wenige Minuten außerhalb des Dorfes dem Inn zufloß, blieb er stehen, blickte wehmütig hinauf gegen den Tobel, welchen der Bach durchrauscht, schwieg eine Zeit lang und sprach mit unbeschreiblichem Ernst: ,,Inzinger, Inzinger, da droben ist die Strafrute für euch hergerichtet. Ich habe es euch nicht gewünscht``.2½Jahre später brach über Inzing die Katastrophe mit ihren entsetzenerregenden Verheerungen herein.
Staffler schreibt in der ,,Landesbeschreibung von Tirol`` Seite 78:
Mit Schaudern nennt man noch die Bergfälle vom Jahre 1807 in Schwaz, Inzing und Stubai. Es wurden zusammengerechnet 71 Häuser gänzlich zerstört oder fortgerissen, eine noch größere Anzahl sehr beschädigt und mit Schlamm gefüllt; bei 200 Jauch der besten Äcker, Wiesen und Gärten mit Schutt und Felssteinen bedeckt, und 6 Menschen von den Fluten verschlungen.In der Kirchenchronik berichtet der damalige Vikar Dyonisius Puecher über dieses Unheil folgendes:
In diesem nämlichen Jahre 1807, den 29. August, suchte Gott Inzing mit einem ungeheuren Murbruch heim, der das ganze Dorf und alle Häuser mehr oder weniger so auch die Felder beschädigte und bei 10 kleinere Häuser ganz hinwegnahm, selbst das Gotteshaus wurde bei 5 Schuh hoch eingelettet und mit Steinen von 40 Zentnern schwer belegt. Nur war es ein großes Glück für das Dorf, daß sich der Bach in mehrere Fäden verteilte, sonst müßte im ganzen Dorf wohl kein Kamin mehr stehn geblieben sein, in dem viele Steine herabgewälzt wurden, die Sachverständige auf 700-900 Zentner schätzen.
Ich bin im meinem Widum geblieben, im nachmaligen Metzgerhaus, und wurde bald mit 18 Personen, die dahin ihre Zuflucht nahmen von vorn und Rücken vom Bach eingeschlossen, sodaß ich durch die ganze Nacht die augenscheinliche Todesgefahr aushalten mußte, bis gegen Morgen die Gewässer gesessen sind.
Die Ursache von diesem entsetzlichen Murbruch war ein Schauer auf den Alpen, der mit einem Wolkenbruch endete. Indessen leuchtete doch der Schutz Gottes in diesem großen Unglück ganz besonders hervor, indem wir dabei keine Seele vermißten, was kaum ohne Wunder geschehen konnte und indem wir zweitens durch die Wohltätigkeit anderer Menschen in und außer Landes durch milde Sammlungen größtenteils entschädigt worden sind und nur an Geld allein, Viktualien und Kleiderstücken nicht mitgerechnet, bei 14000 Gulden bar erhielten.Eine Erinnerungstafel in unserer Pfarrkirche verweist auf den Murbruch. Sie ist neben dem Sankt Josefsaltar in der Höhe angebracht, bis zu welcher der Schutt und Schlamm in der Kirche reichte.
Josef Mair, vulgo Blitzn Seppl, Hube 3, schrieb im Tiroler Bauernkalender über die Mure:
Eine besonders greuelvolle Verwüstung ereignete sich im Jahre 1807, am Schutzengelsonntag, um 1 Uhr nachmittags, so daß die Leute mit Mühe aus der Kirche entrinnen konnten, wo selbst die Kirche mit Schlamm 5 Schuh und mit Steinen 40-50 Zentner schwer, angefüllt wurde.Mair erwähnt, daß er seine Angaben einer gedruckten Quelle entnahm; er bezeichnete diese aber nicht genauer.
Eines dieser steinernen Ungetüme im Kircheninnern war durch die Türe in die Kirche gerollt. Bei den Aufräumungsarbeiten gelang es den Männern trotz vieler Versuche und genauem Messen nicht, den Stein durch die Türe herauszuwälzen. Sie mußten ihn in der Kirche sprengen.
Auch die ,,Innsbrucker Zeitung`` Nr. 74 Jahrgang 1807, unterrichtete ihre Leser von diesem gewaltigen Stein und teilte mit, daß nach Berechnungen von Sachverständigen der Stein wohl bei 600 Zentner wiege.
Der gleichen Zeitung können wir entnehmen, daß viele Wohnhäuser mit Schlamm angefüllt waren. Man schätzte, daß die Reinigung der Dorfstraße allein schon 8000 Fuhren benötigte und daß 4 Millionen Fuhren nicht ausreichen würden, die Felder zu säubern. Ca.180 Jauch Grund waren für viele Jahre unbrauchbar.
Als die Leiblfinger den Turm ihres schönen St.Georgiskirchlein im Mai-Juni 1957 renovierten und neu eindeckten, öffneten sie die Messingkugel des Turmes und fanden darin u.a. ein Schriftstück, das die Inzinger Mure des Jahres 1807 erwähnte.
Der im Jahre 1807 in Leiblfing wirkende Kurat Michael Falkner aus Niederthei, verfaßte 1828 die folgende Beschreibung:
Der 30. August 1807, wo das Fest der heiligen Schutzengel einfiel, war für die Inzinger ein Schreckenstag. Während hier in Pettnau heller Sonnenschein war, zog eine dunkle Wolke um 4 Uhr nachmittags in die Alpe nach Inzingen, um 5 Uhr war heftiges Donnern und Schauern und schon vor 6 Uhr abends brachte der Bach große Steine, der Wildbach verließ das Rinnsal, manche Häuser wurden weggeschwänzet; der noch in Inzing lebende Chirurg, mit Namen Josef Klotz, wurde etliche hundert Schritte auf einem Baume unter dem Schutte weggeführt, von den Betstühlen in der Kirche sah man nichts mehr, weil alle mit Letten bis oben ad mensam altarium usque bedecket waren; durch die Kirchtüre auf der oberen Seite drang ein Stein hinein, daß alle behaupteten, der Stein sei größer gewesen als die Türe.
Alle im ganzen Gerichte Hörtenberg kamen mit Arbeit den Verunglückten zu Hilfe; ja auch von weiteren Orten her kamen Menschen, eilten zum dortigen Gnadenbilde und reinigten die Kirche, daß in wenigen Wochen das Opfer der hlg.Messe wieder in jener so schönen Kirche konnte verrichtet werden.
Johann Dum, Wirt in der unteren Pettnau, schickte am 1. Juli 1808 acht Pferde und 30 Mann nach Inzingen, um den Schutt von den Feldern wegzuführen. Vor diesem Unglück mußten die Pettnauer die Steine zur Erhaltung der Arche gleichsam erbetteln, jetzt aber baten die Inzinger, man möchte nur recht viele Steine von ihren Feldern wegführen. Ein Stein liegt außer dem neuen Widum, war 18 Schuh lang und 11 Schuh breit, dieser wurde vom Tale herausgeführet; jetzt wohnet darin der Metzger.In den Berichten des Bauern Mair und des Kuraten Falkner sind für den Niedergang der Mure verschiedene Uhrzeiten angegeben. Nicht nur Falkner, auch der Inzinger Kurat Johann Schöpf erwähnt, daß die Mure gegen Abend hereinbrach. In der ,,Innsbrucker Zeitung``, Jahrgang 1807 Nr. 73, lesen wir, daß im Stubaital - das mit Schwaz und Inzing am gleichen Tage entsetzlich verheert wurde - das Hochwetter gegen Abend um fünf Uhr niederging. Die letzten großen Muren in den Jahren 1929 und 1969 stürmten abends und am Spätnachmittag gegen unser Dorf. Mair dürfte ein Irrtum unterlaufen sein.
Man erzählt sich, daß unsere Vorfahren von der Kirchentüre aus einst ungehindert zum Hattinger Dorfplatz sehen konnten. Die Mure habe im Jahre 1807 bei der Kirche und im Gelände zwischen Rakes und Gaisau einen Teil ihres Geschiebes aufgeschüttet und so den Blick in die Ferne eingeengt.
Der Murschutt lag bis zu drei Meter hoch. Auch der Friedhof war damit überdeckt. Das Schlößl war vom Geröll so eingeschlossen, daß man den im Erdgeschoß liegenden Wohnraum künftig als Keller verwendete und über dem alten Raum einen Neuen baute.
Das vom Bach abgelagerte Geschiebe ist heute noch deutlich zu erkennen, obwohl die Neugestaltung des Kirchplatzes, die Erweiterung und Anlage des Friedhofes, der Bahnbau in den achtziger Jahren, die häufigen Bauarbeiten an der Salzstraße in letzter Zeit und die Planierungen, die man bei den Aufräumungsarbeiten nach dem Unheil im Jahre 1969 vornahm, viele Narben ausgelöscht haben, welche die Muren hinterlassen haben.
Der Aufbau der Geröllmassen zwischen Inzing und Hatting ist aber nicht nur das Werk ,,Siebner-Mure``, sicher lagerten auch frühere Muren hier Kies, Schutt und Steine ab.
Beim Grundaushub für den Bau der Hauptschule konnte man deutlich drei Murschichten unterscheiden, obwohl nach 1879 hier keine Muren Material abgelagert haben. Die unterste Murschichte stammt also von einer Mure, die vor 1807 dieses Gebiet überschwemmt hatte.
Am Aschermittwoch des Jahres 1805 griff eine sehr heftige Epidemie in unserem Dorf um sich. In den ersten drei Tagen mußte Kurat Puecher, der erst kurz vorher nach Inzing gezogen war, 43 Kranke mit den Sterbesakramenten versehen. Gott sei Dank, war nicht das Gelbe Fieber ausgebrochen, wie die Behörde vermutet hatte. Die Zahl der Todesopfer blieb zum Umfang der Krankheit verhältnismäßig gering. Kaum war dieser Schock von der Bevölkerung überwunden, traf sie ein anderes Unglück.
Kurz nach Weihnachten 1805 schlossen die Österreicher und Napoleon die Verhandlungen in Preßburg ab. Tirol gehörte nun nicht mehr zu Österreich, sondern zu Bayern.
Die wirtschaftlichen Verhältnisse in unserem Lande waren unter der bayrischen Regierung schlecht. Die Bayern schafften das österreichische Papiergeld ab. Napoleon verhängte die Kontinentalsperre. Die Erhöhung der Steuern und des Zinsfußes für Darlehen und ähnliches schädigten direkt oder indirekt die bäuerliche Bevölkerung. Auch die gesteigerte Viehausfuhr nach Bayern, von der sich die Bauern mit Recht eine Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Lage erwartet hatten, traf zunächst nicht ein. Groß war die Not in vielen Bauernfamilien.
Diese Verhältnisse hatten sich noch nicht wesentlich verändert, und die Dorfbewohner waren noch bedrückt, als 1807 die Murkatastrophe über Inzing hereinbrach. Durch ihre grauenhaften Folgen waren die Menschen verzagt, verstört und entmutigt.
Die vorhergehenden Berichte erwähnen bereits erfolgreiche Hilfen. Selbst die Bayern waren bestrebt, die Not zu lindern. Sogar aus fernen Gegenden, z.B. aus Bamberg kamen Spenden. Der königlich bayrische Generalkomissar der oberen Pfalz erließ am 13.11.1807 einen Aufruf an die Bevölkerung, den Notleidenden in Inzing, Schwaz und Stubai beizustehen. Der gutmütige, leichtgläubige und etwas geschwätzige bayrische Salinendirektor Utzschneider, der sich sehr um die führenden Persönlichkeiten Tirols bemühte, damit unsere Landesleute den Widerstand gegen die bayrische Herrschaft aufgäben, zog in Bayern eine Sammlung für die von Elementarschäden betroffenen Gemeinden auf. Als die bayrischen Majestäten Innsbruck besuchten, verfaßte ein Schriftsteller eine Ode, die gedruckt und um 6 Kreuzer verkauft wurde. Den Verkaufserlös erhielten die geschädigten Gemeinden.
Die alten Inzinger erzählen, daß sich die Muren alle 70 Jahre über Inzing ergießen. Das traf wohl bei den großen Muren des 19. Jahrhunderts zu (1807 und 1879), aber nicht bei denen des 20. Jahrhunderts. Hier sind die Zwischenräume kürzer, nämlich 50 und 40 Jahre (1879-1929-1969).
Auch 1817 und 1855 wurde unser Gemeindegebiet vermurt. Diese Muren richteten aber weitaus geringere Verwüstungen an wie in den Jahren 1807 und 1879.
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